Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre


Der Deutsche Ökumenische Studienausschuss (DÖSTA), der „Wissenschaftlichen Beirat“ der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland, hat ein Wort zur Würdigung des 20. Jahrestags der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) am 31. Oktober 2019 herausgegeben. Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) ist im DÖSTA durch Prof. i.R. Dr. Werner Klän D.Litt. (Lübeck) vertreten, der auch an der Erklärung mitgearbeitet hat. Für selk.de stellt er das Wort des DÖSTA zum 20. Jahrestag der Unterzeichnung der GER vor.
 
20 Jahre


Von einem bilateralen zu einem multilateralen Dokument


Die Erklärung hebt hervor: „Auch wenn nicht alle Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen ihre Zustimmung erklärt haben, ist aus einem ursprünglich bilateralen inzwischen ein multilaterales Dokument geworden.“ Ursprünglich am 31. Oktober 1999 in Augsburg von Lutherischem Weltbund und dem Vatikan unterzeichnet, konnten sich der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre mittlerweile der Weltrat methodistischer Kirchen (2006), die Anglikanische Gemeinschaft (2016) und die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (2017) anschließen. Das Wort des DÖSTA würdigt, dass Annäherungen in der Rechtfertigungsthematik zwischen vielen Kirchen in der Ökumene gewachsen seien.

Würdigung von Einwänden

Das Wort des DÖSTA markiert zugleich deutlich, dass „Einwände gegen die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ nicht ausblieben, „auch durch einzelne Mitgliedskirchen der ACK“. Zu diesen gehört auch die SELK. Begrüßenswert ist, dass der DÖSTA gemeinsam zum Ausdruck bringen konnte, dass „[k]onstruktive Kritik von römisch-katholischer und lutherischer, von methodistischer, reformierter und anglikanischer Seite als hilfreiche Erweiterung des eigenen Verständnisses wertgeschätzt (wird). Die Diskussion lässt erkennen, dass auch in den Reihen der ACK nach wie vor Klärungsbedarf besteht, inwieweit verbliebene Differenzen mit einem grundsätzlichen Konsens vereinbar sind.“

Ermutigung zu gemeinsamer Erschließung der Rechtfertigungsbotschaft

Gegen Ende des Dokuments heißt es: „Der DÖSTA plädiert dafür, dass die christlichen Kirchen es als ihre Aufgabe ansehen, den Rang der Rechtfertigungslehre als Kriterium der Wahrheit, der Einheit und Freiheit des Glaubens zusammen neu zu erschließen. Die Herausforderung besteht darin, die Rechtfertigungsbotschaft in der Sprache von heute neu zu formulieren und auf der Basis theologischer Einsichten gemeinsam von der Liebe Gottes zu allen Menschen zu sprechen, auch wenn sie Sünder sind.“

Erklärung der Mitgliederversammlung der ACK

Ergänzt wird das fünfseitige Dokument durch eine Erklärung der Mitgliederversammlung der ACK in Deutschland. „Die Mitgliederversammlung der ACK nimmt das Wort des DÖSTA aus Anlass des 20. Jahrestags der Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ am Reformationstag 1999 mit Dankbarkeit zustimmend entgegen und bekräftigt den Aufruf zum multilateralen Gespräch über die Rechtfertigungsbotschaft.“

Konkordienlutherische Gesichtspunkte

Aus konkordienlutherischer Sicht ist zu begrüßen, dass die Rechtfertigungslehre, über deren Verständnis im 16. Jahrhundert die Einheit der abendländischen Christenheit zerbrach, zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Römisch-katholischen Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zum Gegenstand theologischer Bearbeitung gewählt wurde. Diese Arbeit, die in verschiedenen Dokumenten Niederschlag gefunden hat, hat tatsächlich eine Reihe von Korrekturen überkommener Fehlurteile erbracht; dies gilt z. B. für das Vorurteil einer römisch-katholischen „Werkgerechtigkeit“ oder für eine angebliche „ethische Indifferenz“ der lutherischen Theologie.

Erstmals in einem lutherisch/römisch-katholischen Dialog wurde in einer gemeinsam getroffenen Aussage das sola gratia („allein aus Gnaden“) durch das sola fide („allein durch den Glauben“) ergänzt (Annex 2C) und durch Römer 3,28 gestützt. Dies ist eine Konsensaussage von wesentlicher ökumenischer Tragweite, auch aus Sicht der SELK. Die kriteriologische Funktion der Rechtfertigungslehre wird erfreulich herausgestellt, nämlich dass „keine Lehre diesem Kriterium widersprechen“ darf (Annex 3). Die Einordnung der Rechtfertigungslehre in den „Gesamtzusammenhang des grundlegenden trinitarischen Glaubensbekenntnisses der Kirche“ ist sachgemäß und entspricht lutherischem Verständnis seit den Zeiten der Reformation.

Weiterer Klärungsbedarf und bleibende Aufgabe

Zu fragen bleibt, ob die Wirksamkeit des göttlichen Freispruchs von Sünde und Schuld deutlich genug herausgestellt wird, ob die Antwort auf die Frage nach der Heilsgewissheit zureichend vergewissernd gefasst wird und welchen Stellenwert menschliches Handeln bei der Rechtfertigung des Sünders haben kann.

Wenngleich die SELK auf verbleibende Unterschiede und zu klärende grundlegende Sachverhalte aufmerksam macht, gibt sie doch der Hoffnung Ausdruck, dass die grundlegenden biblischen Aussagen über die Rechtfertigung des Sünders vor Gott in allen Kirchen Mittelpunkt des theologischen Denkens und des kirchlichen Handelns werden und bleiben.

So kann sie der Schlussfolgerung des DÖSTA nur zustimmen: „20 Jahre nach der Unterzeichnung der ‚Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre‘ ist es an der Zeit, in der multilateralen Ökumene gemeinsam über die befreiende Botschaft der Rechtfertigung nachzudenken. Sie ist immer aktuell. Ihre Bedeutung für das Miteinander und für das Zeugnis der Kirchen muss und kann neu erschlossen werden.“

 

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