Angedacht!


„Ich tilge deine Missetat wie eine Wolke und deine Sünden wie den Nebel. Kehre dich zu mir, denn ich erlöse dich.“
Jesaja 44,22



Dr. Andrea GrünhagenLiebe Leserinnen und Leser,

verstehen Sie doch dieses Wort, dass der Prophet Jesaja dem Volk Israel ausrichtete, einmal als an Sie persönlich gerichtet. Während den einen jetzt vielleicht sofort ganz konkret vor Augen steht, was eine Missetat oder Sünde in ihrem Leben ist, sind andere vielleicht etwas ratlos. „Ja, das war jetzt nicht so gut, aber ob das nun wirklich eine Sünde war, weiß ich auch nicht. Ich bin eigentlich noch gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass ich Gottes Vergebung brauche.“

Brauche ich Vergebung? Brauche ich Gottes Vergebung? Wozu? Verzeihen, Vergebung hat etwas mit Beziehung zu tun. Auf der menschlichen Ebene muss einem jemand schon etwas bedeuten, damit man ihn wirklich für etwas um Verzeihung bittet. Zu anderen sagt man eher: „Oh, sorry, dumm gelaufen.“, aber es ist einem eigentlich egal. Vielleicht sagt man auch gar nichts. Umgekehrt ist man ja auch besonders verletzt oder gekränkt, wenn jemand einem Unrecht tut, wenn dieser Mensch einem wichtig ist oder eine intensive Beziehung besteht. Bei anderen ist man verärgert oder fühlt sich ungerecht behandelt, aber man erwartet keine große Bitte um Verzeihung. Eigentlich ist es einem egal.

Vergebung hat auch gegenüber Gott etwas mit Beziehung zu tun. Wenn einem Gott egal ist, sind einem auch seine Maßstäbe und Regeln egal und ob er einem vergibt, ist auch egal. Den Schritt zu tun, darüber nachzudenken, was eigentlich falsch läuft, das auch auszusprechen und vielleicht sogar Besserung zu geloben bedeutet, dass einem nicht mehr alles egal ist. Das widerspricht zum Beispiel der Postkartenweisheit, dass man die Vergangenheit ja sowieso nicht mehr ändern kann und für die Zukunft noch gar nichts weiß.

Richtig, man kann die Vergangenheit nicht ändern. Was passiert ist, das ist passiert. Um Vergebung bitten dafür kann man aber trotzdem. Aber was genau passiert dann?

Da kann uns das Bild, dass Jesaja verwendet, helfen: Das, was wir falsch machen, legt sich wie eine Wolke oder ein Nebel auf unser Leben und unsere Beziehung zu uns selbst und anderen. Es stört auch den Kontakt zu Gott. Je mehr es davon gibt, desto undurchdringlicher wird dieser Nebel, bis uns nur noch eine trübe, feuchtkalte Atmosphäre umfängt, in der man hin und her stolpert und die Sachen immer noch schlimmer macht, weil mit jedem Schritt die Orientierung noch mehr verloren geht.

Manche stellen sich „Sünde“ immer als einzelne böse Tat vor und Gott als einen, der diese einzelnen Taten zählt. Aber abgesehen davon, dass Gott etwas vielleicht zählt, hat die Sünde keine Auswirkung auf unser Leben, so denken viele. Das ist ein Irrtum, Sünde schadet zuallererst uns selbst.

Und dann gibt es ja auch noch die wenig hilfreichen Leute, die noch zusätzliche Nebenmaschinen anwerfen, indem sie Böses gut und Gutes böse nennen, die Maßstäbe verwischen und alles in Zweifel ziehen – und damit vor allem ihre eigenen schlechten Taten im Nebel verstecken wollen.

Aber genauso, wie eine menschliche Beziehung von einer dunklen Wolke an Groll und unausgesprochenen Vorwürfen und Lügen einfach sterben kann wie Pflanzen, die zu wenig Licht bekommen, kann auch die Beziehung zu Gott dahinwelken. Das bedeutet es, wenn wir sagen, Sünde trennt von Gott.

Was kann man da machen? In einer menschlichen Beziehung kann es sein, dass der Nebel zu dick geworden ist, dass man sich verliert. Aber da geht die Produktion der düsteren Wolke von beiden Seiten aus. In Bezug auf Gott ist das anders. Gott ist Licht, nur Licht und Liebe und das Gute an sich. Er produziert keinen Nebel und keine Dunkelheit, sondern versucht die ganze Zeit mit den Strahlen seiner Liebe durch die Wolke zu dringen. Ihn um Vergebung zu bitten, braucht nichts anderes als den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Gedanken: „Ja bitte, mach diese Wolke, die uns trennt, weg. Ich kann das nicht, da ist dauernd nur mehr Nebel.“ Und so, wie an einem Herbstmorgen der Nebel sich gar nicht wehren kann, wenn die Sonne ihn auflöst, kann die Schuld sich auch nicht dagegen wehren, dass Gott sie auflöst und wegnimmt. Und dann kann es sogar sein, dass wir ein kleines bisschen weniger Nebel produzieren beim nächsten Mal, weil wir die Stolperfallen ja im Licht von Gott besser sehen können. Oft passiert es aber doch wieder, das weiß jeder Christ. Und das Beste ist: Gott gibt überhaupt nie auf, sein Licht durchdringen zu lassen und den Nebel immer und immer wieder aufzulösen.

Das fällt uns Menschen schwer, zu glauben. Wir trauen uns ja in unseren Beziehungen oft gar nicht, um Verzeihung zu bitten oder gar, zuzusagen, es in Zukunft anders zu machen. Denn wir wissen, dass doch wieder Fehler und Verletzungen passieren und dann ist der Bogen irgendwann überspannt und alles vorbei. Es kann zwischen zwei Menschen der entscheidende „Game Changer“, also das, was den Unterschied macht, sein, zu sagen: „Du kannst den Bogen bei mir nicht überspannen. Egal, was du machst. Ich nehme dich mit allen Fehlern, Schwächen und Dummheiten an und das wird sich nie ändern.“ Einfach ist das nicht, aber Jesus hat uns ja darauf hingewiesen, dass es da so einen Zusammenhang zwischen unserer Vergebung und Gottes Vergebung gibt. Für mich heißt das: Ich kann auch Nebel auflösen, indem ich vergebe. Aber manchmal verliere ich die Geduld und meine Güte ist am Ende.

Wie gut, dass Gottes Güte und Geduld unendlich sind. Er erlöst uns aus der trüben, fiesen Nebelsuppe durch das Licht seiner Vergebung. Er lässt uns sogar mitmachen beim Wolkenauflösen, wenn wir anderen vergeben oder selbst um Verzeihung bitten. Ich würde sagen, da hat der Nebel letzten Endes gar keine Chance mehr.

Ihre Andrea Grünhagen

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