Angedacht!


Christus spricht: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“
Johannes 10,11


Dr. Andrea GrünhagenLiebe Leserinnen und Leser,

leider kenne ich keinen Hirten oder eine Schäferin persönlich. Genau genommen kenne ich überhaupt niemanden, der Schafe besitzt. Und Schafe selbst kamen in meinem Leben bislang eigentlich nur als entweder auf einem Deich stehend oder in gegrillter Form vor.

Und trotzdem meine ich zumindest, zu verstehen, was Jesus sagen will, wenn er sich mit einem Hirten vergleicht. Seit es in Deutschland wieder vermehrt Wolfsrudel gibt, ist auch das Verständnis gewachsen, dass Hirte ein durchaus gefährlicher Beruf sein könnte und in früheren Zeiten wahrscheinlich wirklich Hirten bei der Verteidigung ihrer Nutztiere umgekommen sind.

Emotional ist die Rede vom guten Hirten lange etwas überfrachtet gewesen von Schäferromantik und einer Form bildender Kunst, die im 19.Jahrhundert sehr populär war. Der Hirte auf dieser Art Bildern sieht meistens nicht so aus, als würde er sich im Ernstfall effektiv gegen Raubtiere wehren können, er trägt eher ein Lämmchen auf der Schulter.

Das ist allerdings auch kein schlechtes Motiv. Gott als einer, der mich nicht nur verteidigt und beschützt, sondern auch als einer, der trägt und umfängt. Was tut ein Hirte noch? Er zeigt den Weg, er geht voran und führt sicher zu den nötigen Futterplätzen und abends in den Stall oder wenigstens einen Pferch. Der Hirte behält den Überblick. Er hilft, wenn Lämmer nicht problemlos geboren werden oder zieht sie vielleicht sogar mit der Flasche auf, wenn sie zu schwach sind. Überhaupt muss ein Schäfer auch Verletzungen versorgen können. Man könnte sagen, der Hirte muss stark und sanft zugleich sein.

Es mag sein, dass in unserer Lebenswelt keine Schafherden in größerer Zahl vorkommen. Ich glaube aber, dass wir gerade dann eine entscheidende Erfahrung machen, wenn die Zeiten schwierig sind. Ich meine die Erfahrung, dass es gerade dann, wenn es hart auf hart kommt, einen Unterschied macht, ob jemand in Christus einen guten Hirten hat oder nicht. Einen Hirten haben oder nicht, das macht etwas aus.

Was mich wirklich erschreckt, ist die innere Haltlosigkeit, die ans Licht kommt, wo plötzlich der Konsum, die Events, das Reisen, der Genuss eingeschränkt sind. Egal ob mal eben vorübergehend oder vielleicht durch Alter und Krankheit generell. Und was bleibt dann? Wo können Menschen seelisch auftanken, wo finden sie Freude und Gemeinschaft, was hält sie innerlich aufrecht, was gibt Frieden und Zufriedenheit? Einen Hirten haben! Ganz fromm gesagt: Ohne Jesus möchte ich lieber nicht in der Lebenskrise stecken.

So wirklich neu ist diese Erkenntnis ja nicht. Das könnte man wissen, seit man als Kind „Weil ich Jesu Schäflein bin“ gesungen hat. Oder den 23. Psalm im Konfirmandenunterricht lernen musste. Der Pfarrer, der mich konfirmiert hat, bestand darauf, dass jeder diesen Psalm und die Liedstrophe „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir …“ (ELKG2 416,9) auswendig können musste. Denn es kann ja sein, so sagte er, dass man irgendwann am Ende des Lebens ganz allein im Krankenhaus liegt oder an schlimmeren Orten stirbt und was dann, wenn man so eine Notration nicht hat? Ja, was dann?

Jetzt sind auch viele Menschen allein. Aber wenn sie diesen einen guten Hirten kennen, dann sind sie nicht einsam. Keinesfalls verlassen und trostlos. Das kann ja gar nicht sein, denn „Gutes und Barmherzigkeit werden ihnen folgen“ ihr Leben lang. Und darüber hinaus. Da kann man doch nur sagen: „Amen, ja, mein Glück ist groß.“ Weitersagen wäre auch gut …

Ihre Andrea Grünhagen

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