Angedacht!


„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
Johannes 1,14


Dr. Andrea GrünhagenLiebe Leserinnen und Leser,

Weihnachten gibt es etwas zu sehen in der Kirche! Da wird die Krippe unter dem Weihnachtsbaum aufgebaut, die Kinder haben ein Krippenspiel eingeübt und führen es auf, das Gottesdienstprogramm ziert ein weihnachtliches Kunstwerk und alle Lieder malen Bilder mit Worten und Tönen von dem Kind im Stall zu Bethlehem. Das Weihnachtsevangelium beim Evangelisten Lukas wird verlesen, den meisten ist es Wort für Wort bekannt: „Es begab sich aber zu der Zeit …“ Und wieder heißt es: dieses Kind Jesus, in Windeln gewickelt, das keinen Raum hat in der Herberge, dieses Kind ist der wahre Gott, der Retter und Heiland.

Aber halt, woher weiß man das denn? Konnte man das sehen? Wo ist der Beweis? Vielleicht hören so viele Menschen jedes Jahr die Weihnachtsgeschichte und es ist ihnen nicht mehr als ein rührendes Märchen, in dem irgendwas von Frieden auf Erden vorkommt, weil sie den springenden Punkt übersehen. Es muss ihnen ausgelegt und gedeutet werden. Man könnte es mit Kindern vergleichen, die lange Texte für ein Krippenspiel lernen. Aber das könnte auch ein bloßes Theaterstück sein. Es müsste umrahmt und getragen sein von den Weissagungen der Propheten aus dem Alten Testament und einer Predigt, damit es für Herz und Verstand deutlich wird: Das Kind von Bethlehem ist der versprochene Messias, der Retter, der Herr in der Stadt Davids!

Aber selbst da könnte man weiter fragen: stimmt das denn auch? Ist es recht, diese alten Worte so zu deuten? Damit ein Mensch erkennt und glaubt, hilft das andere Weihnachtsevangelium, das wir hier in einem einzigen Bibelvers vor uns haben.

Nur muss dies Weihnachtsgeschichte völlig ohne Engel, Hirten und Schafe auskommen, auch kein trautes, hochheiliges Paar ist zu sehen …

Aber in den wenigen Worten ist alles gesagt. Das Wort wurde Fleisch. Der ewige Sohn Gottes wird Mensch. Gott selbst bezeugt in seinem Wort, dass es wahr ist. Ein Zeugnis ist kein Beweis. Aber die Menschwerdung Gottes ist nichts, was man beweisen könnte. Sie kann von Anfang an nur bezeugt werden, nämlich letztendlich nur von Gott selbst.

Trotzdem klingt das ja alles sehr kompliziert. Mit dem „Wort“, das Fleisch wird, ist an dieser Stelle Jesus Christus gemeint. Christus ist Gott, der von Ewigkeit her bei Gott war, Gott der Sohn bei Gott dem Vater. Er wurde Mensch und von seiner Mutter Maria in Bethlehem geboren. Das ist eine ungeheuer radikale Aussage. Ein ganzes Leben als Mensch von der Schwangerschaft bis zum Tod hat Gott der Sohn gewählt und auf sich genommen. So nah ist er zu uns Menschen gekommen, er ist nicht im Himmel geblieben, sondern wirklich und wahrhaftig Mensch geworden.

So hat er uns die Herrlichkeit Gottes offenbart. Im Alten Testament ist die Herrlichkeit, die Gott umgibt, etwas erschreckend Gewaltiges. Im undurchdringlichen Glanz dieser himmlischen Majestät ist Jesus zu Weihnachten nicht zu uns gekommen, denn das hätten wir Menschen so nah nicht ertragen können, sondern als ein Kind. Der Heilige kommt zu uns als Heiland, Gott der Sohn ist wahrhaftig Mensch und damit unser Bruder geworden. Er ist geworden wie wir, ausgenommen die Sünde. Martin Luther hat es so in einem Lied gedichtet: „Den alles Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß; er ist ein Kindlein worden klein, der alle Welt erhält allein.“ (ELKG², 330,3) Im Kind in der Krippe können wir Menschen sie anschauen, diese Herrlichkeit. Obwohl da vordergründig wohl gar nichts Besonderes zu sehen war. Jedenfalls war es nur für den Glauben zu sehen. Der Evangelist Johannes kann jedenfalls bekennen: wir sahen seine Herrlichkeit.

Es ist ein Sehen, das nicht (nur) mit den Augen geschieht. Die Augen dürfen sogar nicht bloß an der lieblichen Krippenszene hängen bleiben, denn hier gibt es Gnade und Wahrheit zu sehen, zu erleben, die Gnade und Wahrheit Gottes nämlich.

Ich hoffe, dass dieses große Wort aus dem Johannesevangelium uns alle an diesem Weihnachtsfest begleitet. Wir können es in unserem Herzen bewegen, wie Maria das tat, die sicherlich oft über dieses Geschehen, dessen Teil sie war, nachgedacht hat. Wir können uns die Frage stellen, wo wir Gnade brauchen für unser Leben und was für uns eine Gnade das an diesem Weihnachten wäre. Wir können auch nach der Wahrheit in unserem Leben fragen, denn die Begegnung mit dem Christus, der die Wahrheit in Person ist, macht uns klar, wo Unwahrheit in unserem Wesen und in unserem Glauben ist.

Dieses andere Weihnachtsevangelium ist also eine Einladung, die Herrlichkeit Gottes zu sehen, zu feiern, zu glauben. Es gibt also wirklich viel zu sehen.

Ihre Andrea Grünhagen

© 2025 | SELBSTÄNDIGE EVANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHE (SELK)