Angedacht!


„Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zu Heiligung.“

1. Thessalonicher 4,7


Dr. Andrea GrünhagenLiebe Leserinnen und Leser,

es ist gerade erst ein paar Tage her, da sagte jemand zu mir: „In der Kirche müsste viel mehr über Sexualität geredet werden. Warum sind bloß alle so verklemmt, was das angeht.“ Also, der Apostel Paulus ist jedenfalls überhaupt nicht verklemmt und er redet über Sexualität. Aber das und was er da geschrieben hat, stellt die Kirche nun offenbar vor eine gewisse Herausforderung, wenn sie dieses Wort Heiliger Schrift auslegen soll. Man sieht die roten Ohren der Verantwortlichen für die Auswahl der Lesungs- und Predigttexte für den Gottesdienst sozusagen schon von ferne leuchten. Woran das liegt?

Sofern es Ihnen möglich ist, lesen sie doch den gesamten Textabschnitt 1. Thessalonicher 4,1-8, der auch die Epistellesung des 20. Sonntags nach Trinitatis ist, einmal im Zusammenhang. Wenn Sie dazu die aktuelle Lutherübersetzung von 2017 mit der Lutherübersetzung von 1984 vergleichen, wird es noch interessanter. Liest man den griechischen Urtext, so steht als Anrede „Liebe Brüder!“ da (V.1). Das macht bei dem Folgenden auch richtig Sinn, weil dieser Text sich an Ehemänner richtet und es darum geht, wie sie sich in Sachen Sexualität ihre jeweils eigene Frau behandeln sollen, nämlich mit Heiligkeit und Ehrerbietung. Lässt man die Anrede weg oder ergänzt die Schwestern, wie es die Übersetzung von 2017 tut, verleiht das dem Bibelwort im besten Fall eine unfreiwillige Komik, die schlicht unangemessen ist.

Dabei ist es eigentlich nicht allzu komplex, ich versuche mal eine kleine Übertragung: Liebe Brüder, wir haben euch gelehrt, wie ihr euch als Christen verhalten sollt, wonach ihr euch ja auch richtet, und darin sollt ihr immer vollkommener werden. Gott will, dass ihr heilig lebt, wozu gehört, dass ihr das Ausleben eurer Sexualität außerhalb der Ehe vermeidet. Stattdessen soll jeder von euch sich darauf verstehen, seine eigene Ehefrau heilig und mit Ehrerbietung zu behandeln statt mit der gierigen Lust, die diejenigen an den Tag legen, die Gott nicht kennen. Zur Heiligkeit gehört auch, dass man seinen Bruder im Geschäftsleben nicht betrügt. Das alles bestraft Gott nämlich. Gott hat euch nicht dazu berufen, schmutzige Dinge zu tun, sondern heilig zu sein. Wer sich darüber hinwegsetzt, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt.

Das ist deutlich, vor allem der Schlusssatz. Das bedeutet nämlich, dass die christlichen Männer, die ihre eigenen Frauen bzw. alle Frauen, mit denen sie das tun, was Paulus unzüchtig nennt, auf diese Weise mit Verachtung behandeln, eigentlich Gott verachten. Denn erstens hat er den Männern und ihren Frauen, so sie Christen sind, den Heiligen Geist gegeben, damit sie heilig miteinander leben und nicht, damit die Männer die Frauen nur für ihre Bedürfnisse benutzen - oder missbrauchen. Und zweitens schätzen sie die Ehe als Ordnung Gottes gering, in der Sexualität in gegenseitiger Ehrerbietung gelebt werden soll, gering, wenn sie sich so benehmen. Das Stichwort mit der Ordnung Gottes ist an dieser Stelle von mir eingetragen, denn darum geht es am 20. Sonntag nach Trinitatis. Und eine Ordnung Gottes ist die Ehe. Natürlich können und sollen sich auch christliche Frauen gesagt sein lassen, dass Gott sie zur Heiligung berufen hat, dass er ihnen den Heiligen Geist gegeben hat und dass das auch die Berufung zur sexuellen Reinheit bedeutet.

Kein Wunder, dass da allen Bibelübersetzern, Predigern und den Hörern der Schweiß ausbricht und vielleicht findet plötzlich gar niemand mehr, dass wir in der Kirche viel mehr über Sexualität reden sollten. Den einen ist es zu konkret und die anderen wittern kirchliche Leibfeindlichkeit. „Aber Sexualität ist doch nichts Schmutziges!“ kommt ganz schnell der Einwand. Und? Sagt die Heilige Schrift das hier oder an anderer Stelle? Gerade nicht! Sondern hier wird beschrieben, wie es bei Menschen, die heilig sind, also die zu Gott gehören und deren Körper der Tempel des Heiligen Geistes ist, sein soll.

Die Sache ist nur die: es kann auch anders sein. Und das wissen wir auch, aber plötzlich schauen alle ganz unschuldig und verständnislos und haben überhaupt keine Ahnung, was vielleicht mit gieriger Lust oder Unreinheit gemeint sein könnte. Und dann wird auch noch angedroht, dass Gott sowas bestraft. Übrigens die miesen Tricks im Geschäftsleben auch, da ist Paulus in dem, was er schreibt, gar nicht nur auf das eine Thema fixiert. Und das hat wiederum etwas mit den Ordnungen Gottes zu tun. Das ist ja eigentlich ein seltsamer Begriff. Man könnte vielleicht sagen, der Plan, wie Gott es haben wollte, so etwas wie eine innere Gesetzmäßigkeit, die Gott in der Schöpfung angelegt hat. Nehmen wir die Dinge, die Paulus in diesen Versen anspricht, dann können wir uns eigentlich denken, dass es sich auf jeden Fall irgendwann irgendwie rächt, wenn man sich da übergriffig verhält.

Übergriffig ist ein gutes Wort, um zu beschreiben, was der Fehler ist. Der Mensch greift über das, was die gute Ordnung Gottes vorsieht, hinaus. Das tun wir, weil wir Sünder sind, weil genau das Sünde ist im tiefsten Sinn, die sich dann in einzelnen verletzenden oder bösen Verfehlungen äußert. Wir kommen da nicht alleine raus, deshalb arbeitet der heilige Geist ja auch ständig an unserer Heiligung, also dass wir immer mehr so werden, wie sich Gott das gedacht hat. Wie macht er das? Zum Beispiel, indem wir uns dieses Bibelwort gesagt sein lassen, Gott um Vergebung bitten, wo wir erkennen, dass wir uns nicht so verhalten haben, wie er das will und fest auf seine Vergebung und die Möglichkeit eines Neuanfangs, bei dem es uns besser gelingt, vertrauen.

Ich finde übrigens auch, dass wir in der Kirche viel mehr davon reden sollten, wie sich Gott das mit Männern und Frauen, mit der Sexualität und der Ehe gedacht hat. Man wird nämlich nicht verklemmter, sondern glücklicher davon, wenn man seinen Weisungen folgt. Ist ja wenig verwunderlich, Gott ist der Schöpfer und unser Vater, der nur Gutes für uns will. Deshalb hat er bestimmte Dinge festgelegt, womit wir wieder beim Thema dieses Sonntags wären.

Ihre Andrea Grünhagen

© 2024 | SELBSTÄNDIGE EVANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHE (SELK)