Angedacht!


„Er (Gott) hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf,
nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade,
die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus,
der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium,
für das ich eingesetzt bin als Prediger und Apostel und Lehrer."
2. Timotheus 1,9-11




Dr. Andrea GrünhagenLiebe Leserinnen und Leser,

das klingt irgendwie ziemlich kompliziert. Es handelt sich um einen einzigen Satz, der sich über drei Bibelverse erstreckt. Der hervorgehobene Teil kommt vielleicht manchen bekannt vor, weil er liturgisch als sogenannter „Versikel“, also ein „kleiner Vers“, am Ende des Gottesdienstes in der Osterzeit verwendet wird. Nimmt man den ganzen Satz, ist er alles andere als ein „Vers-chen“. Zum einen, weil mit guten Gründen behauptet wird, dass er sehr alt sei, so alt, dass Paulus ihn schon als fertige Formulierung kennengelernt hat. Er könnte zur Zeit der ersten Christen ein Lied zur Taufe gewesen sein. Die Täuflinge wären dann diejenigen, denen sich Christus offenbart hat und deren neues unvergängliches Leben durch die Taufe ans Licht gebracht wird.

Entweder hat der Apostel Paulus diesen Satz im zweiten Brief an seinen Schüler Timotheus zitiert oder er hat ihn formuliert. Hintergrund ist der Wunsch von Paulus, dass Timotheus zu ihm nach Rom kommt, wo Paulus ein Gefangener ist und auf seine Hinrichtung wartet. Dass dies nun für Timotheus nicht ungefährlich sein würde, kann man sich leicht denken.

Aber was soll Timotheus denn nun ermutigen, das Risiko trotzdem einzugehen? Paulus schreibt sehr liebevoll von dem ungeheuchelten, also ehrlichen Glauben, der Timotheus auszeichnet, ebenso wie er dessen Mutter und Großmutter auszeichnete. Dann erinnert Paulus ihn daran, dass er Timotheus die Hände aufgelegt und ihm eine besondere geistliche Gabe vermittelt habe, wir würden es heute Ordination nennen. Diese Gabe, gemeint ist wohl der Heilige Geist, soll Timotheus nun befähigen, mit für das Evangelium zu leiden und Zeugnis abzulegen (griechisch steht da das Wort Martyrium), denn der Geist sei ja nicht ein Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Der lange Satz ist dann eher zum Amtsbruder Timotheus geredet als zum noch jungen Schüler des Paulus. Gott hat Paulus und Timotheus berufen – meint er hier allgemein zum Christen oder, was mir wahrscheinlicher scheint, zum Prediger, Apostel und Lehrer, womit dieser Satz einen logischen Kreis bildet oder beides – und diese Berufung ist schon jenseits der Zeit, vor der Erschaffung von Zeit und Welt ergangen. So ähnlich heißt es im Epheserbrief, dass Gott uns in Christus erwählt hat, ehe der Welt Grundgelegt wurde (Epheser 1,4) Der Gedanke, dass es vor der Schöpfung schon etwas gab, nämlich Gott und auch Jesus Christus, der aus Gott geboren ist vor aller Zeit und Welt, wie es das Nizänische Glaubensbekenntnissagt, ist für uns Menschen schwer zu fassen. Wir denken Zeit in Vorher und Nachher, jetzt und später, also wie Punkte auf einer Linie. Für Gott ist aber alles gleichzeitig, besser gesagt ohne Zeit und er weiß alles gleichzeitig. Das bedeutet, dass er demnach ja schon vor der Schöpfung vom Sündenfall der Menschen wusste, dass der ewige Sohn Gottes vorherbestimmt war, für die Menschen zu leiden und zu sterben und dass Gott von Ewigkeit her die Gläubigen aus Gnade nach seiner ewigen Entscheidung berufen hat. Und falls sich das jemand fragt oder bevor jemand in Zweifel gestürzt wird: Gott hat alle berufen und sein Ratschluss ist, dass alle zum Glauben kommen sollen, nicht nur einige und andere nicht (1. Timotheus 2,3f), aber wegen dieser ewigen Gleichzeitigkeit weiß er „vorher“, wer glaubt, nur ist sein Vorherwissen kein Vorherbestimmen.

Und was heißt das jetzt für mich persönlich? Es heißt, dass Gott schon vor undenklichen Zeiten, in einer Welt jenseits von Zeit und Welt, wie wir sie kennen, ganz konkret an jeden Einzelnen gedacht hat. Er hat ganz konkret an mich gedacht. Dass er wollte, dass ich an ihn glaube, dass er mir diesen Glauben in der Taufe geschenkt hat, das hat er entschieden, lange, bevor es mich gab oder ich mich für ihn hätte entscheiden können oder etwas für seine Entscheidung getan hätte. Das ist reine Gnade. Wie wichtig und wertvoll muss ich sein, wenn diese Entscheidung schon so lange feststand! Wie genau muss Gott alles für mich geplant haben! Das ist kaum zu fassen.

Aber es steckt noch eine zweite Botschaft in diesem langen Satz. Stellen wir uns einmal vor, in den Nachrichten käme die Meldung, es sei Medizinern gelungen, herauszufinden, wie man das Sterben ganz generell verhindern könnte. Was würde das auslösen, wenn uns gesagt würde: Du musst niemals sterben, du wirst für immer leben! Was für Konsequenzen hätte das sofort für die dann unendlich lange Zeit, die vor uns liegen würde.

Und nun ist es so: seit 2.000 Jahren verkünden Menschen wie Paulus und Timotheus: „Der Tod ist besiegt! Du wirst in Christus und mit Christus ewig leben!“ Das ist doch eigentlich eine wirkliche Sensation, das ist die alles verändernde Botschaft. Warum interessiert sie uns dann so wenig und freut uns kaum?

Wahrscheinlich liegt es daran, dass es in der Welt und in unserem Leben anders aussieht. Da sterben Menschen, da verliert das Leben andauernd gegen den Tod. Das liegt daran, dass der Todeskeim seit der Trennung der ersten Menschen von Gott zutiefst in allem steckt. Aber damit hat Gott sich nicht abgefunden. Er hat einen Weg gefunden, die Konsequenz der Trennung von ihm, der ja das Leben ist, zu überwinden. Christus hat das Leben und ein unvergängliches Sein wieder ans Licht gebracht. Wer getauft ist, der hat den Tod hinter sich, auch wenn das Sterbenmüssen bleibt. Das heißt auch, ich habe nicht nur die geringe Zeitspanne meines irdischen Lebens vor mir, ich habe nicht einen Körper, der zunehmend schwächer wird und einen irgendwie zufällig geprägten Charakter, sondern ich habe eine ganze Ewigkeit vor mir, mir ist Lebendigkeit ohne Ende geschenkt und ich habe ein unzerstörbares, unverlierbares Wesen. Das hat Gott für mich schon immer so gewollt.

Genau das bedeutet, Gott hat uns selig gemacht. Das ist selig. Ein Wort, das wir gar nicht so häufig auf uns anwenden. Wir könnten es aber, ja, wir sollten es unbedingt!

Paulus sagt Timotheus nicht weniger als das zu: „Was auch immer dir passieren wird, wenn du dich entscheidest, mich zu unterstützen, in Wahrheit kann dir gar nichts Schlimmes geschehen.“ Das ist mutig, das macht Mut, weil es wahr ist. Eigentlich kann uns gar nichts Schlimmes passieren. Denn Christus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht!

Ihre Andrea Grünhagen

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