Seminar: Verzeihen ist kein Kinderspiel | 23.08.2020

Verzeihen ist kein Kinderspiel
SELK: Online-Veranstaltung des Wilhelm-Löhe-Seminars

Korbach/Marburg, 23.8.2020 - selk - Am Donnerstagabend führte Superintendent Manfred Holst (Marburg), Diplom-Supervisor für soziale Berufe, Mediator, Ehe- und Familienberater, von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) im Rahmen eines digitalen Angebotes des Wilhelm-Löhe-Seminars, das dem der SELK zugeordneten Diakonissenwerk Korbach e. V. angegliedert ist, mit seinem Vortrag zum Thema "Verzeihen ist kein Kinderspiel oder: Von dem Mut, einen neuen Anfang zu wagen" die Teilnehmenden engagiert und differenziert durch die Thematik.

"Das verzeihe ich dir nie", begann er. Menschen erleben Situationen, in denen sie sich verraten und verlassen vorkommen. Und eine einzige Frage bohrt, so Holst: "Warum hast du mir das angetan?"  Unzählige Geschichten gebe es, in denen Menschen mit inneren Verletzungen umgehen müssten. Menschen würden "ungerecht behandelt", verraten, belogen und betrogen und müssten auch mit einer neuen, zum Teil furchtbaren Situation umgehen, in denen ihnen etwas unwiederbringlich genommen würde. Vergebung habe auch eine gesellschaftliche Bedeutung. Holst zitierte Mahatma Gandhi in seinem gewaltlosen Kampf für das indische Volk: "Auge um Auge und die ganze Welt wird blind sein." Verzeihen oder nicht zu verzeihen habe gravierende Auswirkungen auf den eigenen Seelenfrieden und zugleich auf das soziale Leben, so Holst. Die psychologische Forschung habe das Thema erst sehr spät entdeckt. Dieses weitgehende Ignorieren des Vergebens in Psychologie und Psychotherapie sei erstaunlich. Denn im weit verbreiteten Christentum, besonders im Neuen Testament, habe das Vergeben eine wesentliche Bedeutung.

Es gebe Predigten, in denen man hören könne: "Was für den Tischler der Hobel und für den Klempner die Zange, das ist für den Christen die Vergebung. Damit lässt sich's arbeiten." Doch so einfach sei es nicht.

Der Referent unterschied und beleuchtete die Begriffe "Verzeihen" und "Vergeben" und damit eng verbunden "Sünde", "Schuld" und "Versöhnung" Der Begriff "Sünde" sei jedoch vor allem außerhalb der kirchlichen Milieus einem gravierenden Bedeutungswandel unterworfen, der zu vielen Missverständnissen und Unschärfen im Verständnis des Wortes führe.

Holst führte aus, dass Vergeben ein Prozess sei. Verzeihen sei eine Kunst, die zu Freiheit führe und das Leben aktiv gestalten ließe. Man unterscheide im Wesentlichen drei Wege, wie mit Verletzungen umgegangen werde: Der erste Weg sei die Rache, die jedoch das eigene Denken negativ binde. Der zweite Weg sei das Verdrängen, in dem man das Unrecht hinter sich lassen wolle und deshalb vor den eigenen (negativen) Gefühlen davonlaufe. Ein dritter Weg sei, sich den eigenen Gefühlen zu stellen und sie bewusst auszuhalten auf dem Weg hin zur Vergebung.

Weiter hörten die Teilnehmenden von Faktoren, die Vergebung erschweren könnten: Vergebung sei ein Geschenk, zunächst an sich selbst. Wer sich  zu schnell entschließe zu vergeben und Vergebung als Pflicht wahrnehme, stehe in der Gefahr, sich selbst zu überfordern. Es brauche in der Regel einen Prozess, um vergeben zu können. Schritte und Phasen auf dem Weg zum Verzeihen seien folgende: Auseinandersetzung mit der eigenen Verletztheit. Perspektivwechsel oder: Von der Wut zum Verstehen. Eine Entscheidung, vergeben zu wollen, auch wenn das nicht heiße, dass die Vergebung damit schon verwirklicht sei. Ein weiterer Aspekt sei es, sich als der, der unter einer Verletzung leide, darüber klar zu werden, dass kein Mensch verhindern könne, anderen weh zu tun.

Zum Schluss entfaltete der Referent an einigen biblischen Erzählungen die große Bedeutung der Vergebung und  Versöhnung in der Bibel. Der Theologe Dr. Reinhard Deichgräber formuliere, dass die Bibel sehr offen über Streit berichte und Streit nicht unterdrücke; es liege aber alles daran, dass man wieder zueinanderfinde. Holst betonte, dass Gottes Liebe im Kern eine vergebende Liebe sei, die kein Mensch verdient habe, mit der Gott hingegen die Menschen beschenke. Gottes Liebe sei unteilbar. Wenn Vergebung gelinge, sei in der Regel ein mitunter schmerzhafter Prozess der Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen vorangegangen, bei dem der Betroffene eine gute Begleitung und Gottes Hilfe benötige.

Der Referent schloss mit zehn Thesen zur Vergebung der Luxemburger Kommission "Justitia et pax" und einem Gebet  zur Vergebung. (1.) Vergebung kann ein langer Prozess sein. (2.) Vergebung ist nicht von einem Geständnis abhängig.(3.) Vergebung erfordert keine übereinstimmende Auffassung von der Vergangenheit. (4.)Vergebung bedeutet, mein Recht auf Rache loszulassen. (5.) Vergebung bedeutet nicht vergessen. (6.) Vergebung bedeutet, das Unrecht nicht immer wieder zur Sprache zu bringen. (7.) Vergebung bedeutet nicht, das Verhalten einer anderen Person zu entschuldigen. (8.) Vergebung bedarf vorab einer Entscheidung. (9.) Vergebung bedeutet nicht unbedingt, erneut zu vertrauen. (10.) Vergebung ist Voraussetzung für Neuanfang.

Ein anschließender Austausch der Teilnehmenden zeigte noch einmal die Vielschichtigkeit und Brisanz des Themas.

Aufgrund von Anfragen mehrerer Personen, die diesen Termin nicht wahrnehmen konnten, bietet das Wilhelm-Löhe-Seminar diesen Vortragsabend am 16. September (18 Uhr) ein weiteres Mal an. Wer Interesse hat, melde sich an über Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Weitere Termine zu Seminar- und Vortragsthemen des Wilhelm-Löhe-Seminars finden sich unter www.diakonissenwerk-korbach.de.

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