Schule, Kirche und die Digitalisierung


Seit es den „Digitalpakt“ gibt, ist das Thema digitales Lernen in aller Munde. Aber was ist das genau und was könnte es für kirchlichen Unterricht bedeuten? Zu diesem Themenfeld hat sich Karsten Müller der Kirchenzeitung „Lutherische Kirche“ der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) für ein Interview zur Verfügung gestellt. Müller ist Oberstudienrat und arbeitet als Studienleiter am Religionspädagogischen Institut (RPI) der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, konkret im Bereich Medienbildung/Neue Medien (www.rpi-medienbildung.de). Er ist zertifizierter Medienpädagoge und Geschäftsführer Nordhessen der Regionalstellen RPI Kassel und RPI Fritzlar. Das Interview findet sich in gekürzter Version in „Lutherische Kirche“ 9/2019, als Langversion im Folgenden.

Digitalisierung

LuKi: Was muss man sich eigentlich beim Schlagwort „Digitalisierung“ in Bezug auf die Schule vorstellen?


Müller: Im Zuge der Digitalisierung erleben wir eine Transformation unserer Lebenswelt auf allen Ebenen. Ein Bildungsengagement, das den Menschen ganzheitlich in den Blick nimmt, darf die Dimension des Virtuellen/Digitalen nicht (künstlich!) von der so genannten „Realität” abtrennen. Das Interesse am Menschen nimmt dessen Lebenswelt/-räume in den Blick - insgesamt!

Ein Smartphone kann heute nicht mehr nur als zusätzliches technisches Gerät betrachtet werden, sondern wirkt im Alltag inzwischen wie die Verlängerung der Körperteile Arm und Hand. Dabei steht den Schülerinnen und Schülern mit diesem Mini-Computer „mehr Technik” zur Verfügung als den Menschen 1969 auf dem Mond. Dieses technische Potential kann selbstverständlich auch im Unterricht genutzt werden. Die Bedeutung der Digitalisierung darüber hinaus für unseren Alltag darf aber auf gar keinen Fall unberücksichtigt bleiben.

Mitunter wird von einer neuen „Kulturtechnik” gesprochen. Diesem Begriff verhalte ich mich ambivalent gegenüber: Einerseits hat die technische Entwicklung tatsächlich das Potential, Lehren und Lernen zu verändern, und es haben sich im Umgang mit den sogenannten „Neuen Medien” völlig neue Fertigkeiten herausgebildet; andererseits würde ich den Faktor „Digitalisierung” lieber als Querschnittsthema verstehen, als eine Dimension, die alle bekannten Kulturtechniken durchdringt. Diese Sichtweise hat den Vorteil, dass man die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht als Spezialthema zur Seite schiebt, sondern als Transformationsprozess aller Lebensbereiche wahrnimmt und damit der Herausforderung für die Bildung gerecht wird. Dem Faktor Digitalisierung lässt sich schulisch also nicht mehr mit einer PowerPoint-AG am Nachmittag beikommen. Unser Leben unterliegt einer derart massiven Umwälzung, dass unser Bildungsengagement hier den ganzen Menschen in den Blick nehmen muss. Die uralten anthropologischen Themen „Identität, Begegnung, Kommunikation, Verantwortung, Teilhabe, Hoffnung, Liebe, Weltanschauung und -erschließung …” werden unter dem digitalen Vorzeichen neu und anders ausgehandelt. Wenn also „Digitalisierung” nicht etwas „Fremdes”, „technisch Messbares” ist, sondern uns und die Gesellschaft zutiefst persönlich betrifft, unsere Lebenswelt tiefgreifend prägt, dann sollten wir eher (mit Jörissen, 2014) von einer „Kultur der Digitalität” sprechen. Dazu muss sich Bildung in Schule und Kirche verhalten, wenn sie ihren ureigensten Auftrag am Menschen ernst nimmt: die ganzheitliche Begleitung bei der Entwicklung der Persönlichkeit.

Für das System Schule bedeutet dies eine enorme Herausforderung. Deshalb versucht hier mein Arbeitsbereich „Medienbildung” des RPI zu unterstützen, indem entsprechende Unterrichtsbausteine für die Grund- und weiterführenden Schulen entwickelt, an einer digitalen Didaktik gearbeitet, die Lehrkräfte fortgebildet und die Schulleitungen bei der Entwicklung eines Medienkonzeptes begleitet werden. Die Schülerinnen und Schüler können ebenfalls einbezogen werden: Sie müssen für dieses Thema nur sehr selten extra motiviert werden.

Grundsätzlich muss aber bei der Ausbildung von Lehrkräften und Pfarrern früher angefangen werden: Bereits im Studium und Referendariat/Vikariat muss die o.a. Kultur der Digitalität immer schon auf der Ebene der Fertigkeiten (digitale Werkzeuge bedienen können) und der Kompetenzen (Hintergrundwissen, Lebenswelt) berücksichtigt werden. Ich würde mir wünschen, dass in beiden Ausbildungsgängen deutlich mehr Unterstützung gewährleistet wird. Ein weit verbreitetes Missverständnis ist nämlich, dass jüngere Menschen alle diese Kenntnisse schon in den Beruf mitbringen. Dem muss ich auch aufgrund meiner eigenen Abordnung an die Universität Würzburg oder meiner Erfahrungen mit der Universität Kassel widersprechen. Sobald die Kolleginnen und Kollegen dann in Amt und Würden sind, wird eine zusätzliche Einarbeitung in das Thema als Überforderung wahrgenommen. Als Fortbildner erlebe ich Veranstaltungen anfänglich oftmals als angstbesetzt: „Auch das noch!” Oder: „Gleich lösche ich das Internet …”

LuKi: Wie setzen denn zum Beispiel Religionspädagogen dies nun um?

Müller: Zunächst einmal gilt auch für den Religionsunterricht (RU), dass wir mit Neuen Medien auch ganz neue Möglichkeiten der Veranschaulichung, digitalen Produktivität und Partizipation haben. Hier bieten sich echte Chancen für selbstorganisierten, entdeckenden, differenzierten Unterricht.

Darüber hinaus sollte sich der Religionsunterricht unbedingt in die Debatte um eine digitale Ethik einmischen. Hier ist unser Proprium die Menschenwürde, die nicht durch eigene Leistung verdient werden kann, ein m.E. unverzichtbarer Orientierungspunkt. Gerade bei den Herausforderungen durch Hatespeech und Fakenews kann der RU auf die Relevanz eines digitalen Dekalogs verweisen, der ein menschliches (!) Miteinander auch in der erweiterten Realität ermöglicht.

In diesem Zusammenhang veranstalten wir zurzeit z.B. mehrere ökumenische Tagungen in Kooperation mit den Landesmedienanstalten, auf denen die Materialien des www.internet-abc.de speziell für den Religionsunterricht nutzbar gemacht werden. Das zentrale Anliegen der Plattform ist, dass sich schon Grundschulkinder sicher im Netz bewegen können. Und auch hier können die 10 Gebote als Gerüst für ein gelingendes Miteinander entdeckt werden, wenn es um z.B. um Urheberrecht („Du sollst nicht stehlen”) oder Cybermobbing geht („Du sollst nicht falsch Zeugnis reden”).

Auch der Religionsunterricht lebt insbesondere von der Anschaulichkeit. Mithilfe von Virtual-Reality-Brillen oder auf dem Smartphone eingeblendeten Zusatzinformationen (augmented reality / erweiterte Realität) lassen sich ganz neu sogenannte heilige Räume erschließen. Die erlebte Atmosphäre, Zeichen, Symbole, Gegenstände ermöglichen es, spannend eigene und auch fremde Erfahrungen mit dem Glauben zu machen. In Kooperation mit der Universität Würzburg haben wir dazu Unterrichtseinheiten entwickelt, die auch in der Konfirmandenarbeit Anwendung finden können.
Im Unterschied zur Filmarbeit, die ebenfalls das Ziel Anschaulichkeit verfolgt, konsumieren hier die Schülerinnen und Schüler nicht nur Informationen, sondern werden hier selbst zum Subjekt und Gegenüber in authentischen Lehr-Lern-Szenarien. So kann das Fremde kennengelernt und Ängste sowie Vorurteile abgebaut werden.

Gerade in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft spielt die Begegnung mit Menschen, die ihrem Glauben im Alltag Ausdruck verleihen, eine wichtige Rolle, um ins Gespräch zu kommen, d.h. sich selbst gegenüber einem religiösen Standpunkt zu verhalten, sich zu positionieren. Hier bietet eine digitale Infrastruktur bislang ungekannte Möglichkeiten. In diesem Zusammenhang berate ich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bei ihrem Projekt eines Globalen Pädagogischen Netzwerks: Über die Plattform www.gpenreformation.net können Lehrende und Lernende voneinander lernen, was Glaube in unterschiedlichen kulturellen Kontexten bedeutet.

Und nicht zuletzt sei auf das virtuelle religionspädagogische Institut www.rpi-virtuell.de hingewiesen, das für den RU einen riesigen Materialpool, Newsstream, virtuelle Gruppenräume und einen Baukasten für eigene Internetseiten bereithält.

LuKi: Welche Chancen und welche Risiken sehen Sie persönlich bei der Erreichung des Ziels der „digitalen Schule“?

Nicht erst seit der Hattie-Studie wissen wir um die zentrale Bedeutung der Lehrkraft als erkennbares Gegenüber der Lernenden für gelingenden Unterricht. Das Projekt „Digitale Schule” wird nun oftmals fälschlich dazu in Konkurrenz verstanden. Der Einsatz einer digitalen Lernumgebung bedeutet gerade nicht, die Lehrkraft abzuschaffen oder eine neue Methode, einen Lernkanal über andere zu stellen und damit analoge Lernformen abzuschaffen. Die Digitalisierung eröffnet aber ein ganz neues Repertoire an Methoden mit der Chance, nicht nur bei Anschaulichkeit, sondern auch bei Differenzierung, selbstgesteuertem / entdeckendem Lernen neue Wege zu gehen, neue Spielräume für die Bildung zu eröffnen.

Wir waren in der Vergangenheit mitunter leider unglaublich erfolgreich dabei, viel Geld für „tote“ Technik auszugeben, ohne dass dies den Unterricht maßgeblich verbesserte, sprich den Schülerinnen und Schülern zugutekam. Wichtig ist daher, bei den Planungen stärker den Lehrkörper einzubinden und gemeinsam für die jeweilige Schule ein überzeugendes Konzept mit didaktischen Ziele, klar benannter Ausstattung und vor allem einer nachhaltigen Fortbildungsstruktur zu erarbeiten.

Problematisch ist, dass oftmals die Schulen das Thema überfordert. Sobald ein Nacktfoto auf Handys kursiert oder eine Schülerin oder ein Schüler sich im WhatsApp-Chat ausgegrenzt bzw. gemobbt fühlt, schlagen die Wellen hoch. Dann wird oftmals ein Medienpädagoge gerufen, der diese Störung „behandeln“ soll. Damit wird die Lösung des Problems an Externe abgegeben. Haben sich die Wogen geglättet, spielt das Thema Digitalisierung keine Rolle mehr, wird als für den Unterricht störend oder gar als Zeitverschwendung betrachtet. Das wird aber der gewaltigen Transformationskraft der Digitalisierung nicht gerecht. Nötig ist hier ein pädagogisches Konzept, das die Lehrkräfte in die Verantwortung nimmt und gleichzeitig nicht alleine lässt. Pädagogik hat hier das große Potential der Prophylaxe. Und wenn es dann trotzdem zum Problem kommt, kann auf eine Haltung der Schülerinnen und Schüler zurückgegriffen werden, die die digitale Dynamik versteht und sich ihr gegenüber auch selbstbewusst verhalten kann.

LuKi: Was bedeutet „Medienkompetenz“ bei Kindern und Jugendlichen?

Zuletzt wurde immer mal wieder zwischen „Digital Natives” und „Immigrants” in wenig hilfreicher Weise unterschieden: Dass Kinder mit dem mobilen, allgegenwärtigen Internet aufwachsen, hat zur Folge, dass durch Unbekümmertheit und durch einen sehr fehlerfreundlichen Umgang mit den mobilen Endgeräten sehr schnell bestimmte Fertigkeiten erlernt werden; das haben sie älteren Nutzenden (oder auch Internet-Verweigerern) voraus. D.h. allerdings nicht, dass damit auch Reflexionsvermögen und Hintergrundwissen einhergeht, also dass die jungen Nutzerinnen und Nutzer wissen, „was das Internet mit mir macht, wenn ich etwas mit/in dem Internet mache“. Hier sind dringend Bildungsprozesse z.B. zu den Themen „Datenschutz“, „Urheberrecht“ erforderlich. Mit Sicherheit gibt es hier auch Fortbildungsbedarf; ein Fachwissen aufseiten der Lehrenden kann nicht automatisch vorausgesetzt werden. Gleichzeitig darf fehlendes Hintergrundwissen nicht bedeuten, dass Lehrkräfte diese Themen nicht aufgreifen, da hier Lebenserfahrung und Reflexionsfähigkeit gewinnbringend eingebracht werden können. Hier sind die Erwachsenen Experten und müssen sich unbedingt als interessiert Beobachtende und Fragen Stellende pädagogisch in die Debatte einmischen. Anforderungssituationen wie z.B. Hatespeech, Fakenews, Cybermobbing, Sexting etc. haben im Zuge der Digitalisierung ein völlig neues Forum erhalten, sind aber im Kern Herausforderungen, die es immer schon gab. Entlastend für sich überfordert fühlende Lehrkräfte kann hier sein, dass sie den Lernenden die Möglichkeit bieten, deren technisches Expertenwissen einzubringen. Das bedeutet auch eine Veränderung der Lehrerinnen- /Lehrerrolle.

Interessant wird es, wenn ein Lernen mit Neuen Medien über Neue Medien nicht nur allgemeinpädagogisch erfolgt, sondern fachdidaktisch aufgegriffen wird. Dadurch kann verhindert werden, dass die durch das Internet bedeutend erweiterte „Realität“ auch tatsächlich im Unterricht verbindlich als veränderte Lebenswelt berücksichtigt wird und nicht in das Belieben einiger weniger Kolleginnen und Kollegen gestellt wird. Dafür muss dieses Querschnittsthema im Lehrplan aller Fächer verortet sein.

LuKi: Wie könnte Kirche und Konfirmandenunterricht in Zukunft aussehen?

Die EKD-Synode hatte sich auf ihrer Tagung im Jahre 2014 intensiv mit dem Thema „Digitalisierung” auseinandergesetzt. Seitdem hat es unter dem Schlagwort #DigitaleKirche einige Aufbrüche gegeben, die von der zentralen Frage ausgehen, wie die Kommunikation des Evangeliums in einer digitalen Gesellschaft gelingen kann: Wenn sich unzählige Menschen im Netz tummeln, muss Kirche in der Nachfolge Christi ihnen auch dort nachgehen. Wenn das Netz ganz neue Begegnungsräume eröffnet, in denen Themen platziert und Kommunikation erfolgt, muss Kirche auf Grundlage der Guten Nachricht auch hier Ansprechpartnerin und Impulsgeberin sein. Ich würde es so zusammenfassen: „Gute Kanäle für die Gute Nachricht!”

All dies stellt ganz neue Anforderungen an Pfarrer. Um der drohenden Überforderung zu entgehen, können hier Kommunikationskanäle in andere Hände gegeben werden – nachdem feste Regeln vereinbart wurden. Zusätzlich bieten wir vom Institut neben Medien-Modulen im Vikariat entsprechende Fortbildungen an, die ein digitales Training und einen Erfahrungsaustausch über die vielen guten Praxisbeispiele ermöglichen: Es gibt verschiedene Apps, durch die Jugendarbeit auch unter der Woche begleitet werden kann. Hier können organisatorische Absprachen und inhaltlicher Austausch multimedial erfolgen. Neue Medien bieten in ganz neuer Weise die Chance, Inhalte anschaulich zu präsentieren und mit einer bestimmten Öffentlichkeit zu teilen. Dabei kann wertschätzend und interessiert auf die Expertise und die Fertigkeiten der jungen Menschen zurückgegriffen werden. Diese können nun partizipativ mit ihren eigenen Medien die Konfirmandenarbeit mitgestalten. Diese gezielte Berücksichtigung ihrer eigenen Lebenswelt mit ihren eigenen Kommunikations-, Teilnahme- und Teilgabeformen kann sehr motivierend wirken.

Dies ermöglicht zumindest theoretisch eine ganz andere Intensität von Kontaktpflege, weil ich damit quasi meine Gemeinde oder Konfigruppe immer in der Hosentasche dabei habe. Dabei können eigene Inhalte ohne viel Aufwand produziert und geteilt werden. Fotos, Videos, Texte, Audiodateien können eine neue Art der „Nähe” erzeugen. Die sogenannte „Wolke der unsichtbaren Zeugen“ erhält in diesem Zusammenhang eine ganz neue Bedeutung. Auch Transzendenz lässt sich in Zeiten der vorherrschenden Algorithmen plötzlich ganz neu erklären. Dabei lassen sich auch Unterschiede aufzeigen, ob mich ein Internet-Gigant aus wirtschaftlichen Interessen auf „Klick und Wisch” begleitet und ausspäht oder aber in Psalm 139 Gottes Allgegenwart als heilsame Verheißung geschildert wird. Der KU kann das digitale Spielen mit Identitäten und die Überwachung durch Algorithmen zum Thema machen, indem dem digitalen Leistungsdruck (sich präsentieren zu müssen) die Rechtfertigung, der nicht zu verdienende Wert des Menschen aus Gottes Sicht entgegen gehalten wird.

Früher haben wir Audio-Kassetten von Predigten an die Menschen verteilt, die nicht am Gottesdienst teilnehmen konnten. Heute gibt es neben einem TV-Gottesdienst noch ganz andere Möglichkeiten, Menschen außerhalb des Kirchengebäudes zu erreichen und dabei inhaltlich zu beteiligen. Mit sublan lassen sich Gottesdienste nicht nur streamen, sondern sind auf Dialog und Beteiligung der Gemeinde angelegt: Vor Ort oder im Internet können sich Besucherinnen und Besucher mit dem eigenen Smartphone mit ihren Fragen, Anregungen, Zweifeln und Gebetsanliegen live einbringen.

Alle digitalen Möglichkeiten zeichnet aus, dass Interessierte orts- und zeitunabhängig davon profitieren können. Das Evangelium ist sozusagen immer nur einen Klick bzw. Tipp entfernt. Impulse für die Auseinandersetzung mit Glaubensfragen können nun auch an ganz anderen Plätzen und unabhängig vom direkten Gespräch mit dem Pfarrer gesetzt werden. So kann ein digital unterstütztes Pilgern, eine Smartphone-Rallye zu biblischen Themen oder auch ein abendliches Webinar als Glaubensgrundkurse angeboten werden – und das auch noch interaktiv.

Dabei darf das Potential der Partizipation nicht unterschätzt werden, das bereits in anderen Kontexten zu einer (mitunter unerwarteten) Demokratisierung geführt hat. Wenn der Wunsch nach Beteiligung ernst genommen wird, dann werden auch viele Menschen „mitreden” wollen. Das kann Folgen haben für eine hierarchisch gedachte Kirchenstruktur.

LuKi: Was sollten Gemeinden dabei unbedingt beachten?

Für die Gemeinden spielt insbesondere das Thema Datenschutz eine wichtige Rolle. Es fällt vielen Menschen leichter, sich im Schutz der Anonymität zu äußern. Diese kann aber im Internet nur bedingt gewährleistet werden. Manche Äußerungen, die im Chat schriftlich fixiert werden, würden später eventuell nicht mehr so getroffen werden. Das gilt schon für die Telefonseelsorge und erfordert eine besondere Sensibilität für die digitale Kommunikation. Das Seelsorge-Geheimnis ist für den vertrauensvollen Austausch unaufgebbar.

Das Recht am eigenen Bild bleibt gerade in social media Kanälen oftmals gerne unbeachtet. Diese Kommunikationsform lebt von der Sichtbarkeit der Teilnehmenden und kann die Lebendigkeit der Gemeinde oftmals besser abbilden als ein Kurzbericht im Gemeindebrief. Trotzdem müssen hier die Personen gefragt werden. Das verdeutlicht schon die Situation der Konvertiten, für die eine digitale Sichtbarkeit oftmals nicht unproblematisch ist.

Bei der digitalen Kommunikation hat sich ein Monopolist fest auf den Smartphones eingenistet: Gerade WhatsApp ist aber aus Datenschutz-Perspektive hoch problematisch. Hier sollten auch Alternativen wie z.B. die App des Schweizer Anbieters „Threema” in den Blick genommen werden. Gerade bei einem sehr persönlichen Austausch über den Glauben sollten die Menschen im digitalen Anbieter-Dschungel nicht allein gelassen werden. Entlastend ist zudem, wenn von vorneherein nicht das Kriterium der Verbindlichkeit an diesen Kommunikationskanal angelegt wird: Instant Messenging bedeutet keinesfalls „Instant Responding”. Wer z.B. in der Jugendarbeit Antworten erwartet, kommt um das persönliche, individuelle Gespräch nicht herum.

Die Homepage ist das digitale Zuhause der Gemeinde. Alle anderen Kanäle (Instagram, Youtube, Facebook, Twitter oder auch Flyer) verweisen lediglich darauf. Es geht also darum, innerhalb der flüchtigen digitalen Kommunikation mit der Internetseite einen Anker anzubieten, der nicht die Geschäftsinteressen amerikanischer Konzerne bedient, sondern der Beheimatung in der eigenen Gemeinde (oder auch darüber hinaus in der Nachfolge Jesu) dient. Alle Medien zielen dann letztlich auf eine Begegnung mit Gott und anderen Menschen. Dazu können Predigten als Audiodateien zum Download bereit stehen. Fotos und Videos wirken für Suchende sehr einladend. Einzelne Personen können sich so vorstellen und die Internet-Recherche für andere persönlicher gestalten. Dadurch wird schnell eine ganz andere Nähe hergestellt. Auch zentrale Glaubensinhalte können im Sinne einer FAQ-Liste (Frequently Asked Questions) in einfacher Sprache und sehr anschaulich kommuniziert werden. Dies verleiht einem Internet-Auftritt inhaltliches Profil.

Bei der nahezu vollständigen Abdeckung durch Smartphones ab einem bestimmten Alter muss dabei bei der Darstellung von digitalen Inhalten immer auch die verschiedenen Endgeräte mitbedacht werden: Responsive Internet-Seiten passen sich der Display-Größe an. Wichtig ist auch die Auffindbarkeit der eigenen Gemeinde: Ist die Kirche auf Karten-Apps verlinkt? Sind dort auch sofort Gottesdienstzeiten ersichtlich?

Bei all den digitale Möglichkeiten ist es wichtig festzuhalten, dass erstens nicht jede Gemeinde digital alles machen kann und muss und dass zweitens digitale Medien nicht in Konkurrenz zu analogen Begegnungen oder zum Gottesdienstbesuch stehen. Medien vermitteln – im Wortsinne und das schon immer. Am Abendmahl ließe sich dieser Gedanke gut lutherisch durchbuchstabieren. Und mit Massenmedien haben wir auf evangelischer Seite schon zu Zeiten Luthers und Gutenbergs Bahnbrechendes erlebt. Also: „Gute Kanäle für die Gute Nachricht!”



Literatur:
rpi-impulse - Beiträge zur Religionspädagogik aus EKKW und EKHN, Digitale Kompetenzen vermitteln im Religionsunterricht und der Konfi-Arbeit, Heft 3-2018
Karsten Müller, Gute Kanäle für die Gute Nachricht? Eine Ermutigung zur Experimentierfreude mit „Neuen Medien“ i.S. einer lebensweltorientierten kirchlichen Jugendarbeit, in: Praxis Gemeindepädagogik 1-2019, S.30f.
Stefan Mendling u. Karsten Müller u.a., Neue Medien in der Praxis, in: Handbuch Konfi-Arbeit, Thomas Ebinger u.a. (Hg.), Gütersloher Verlagshaus 2018, S. 318ff.
Karsten Müller, Gebet 2.0 - Transzendenz in Zeiten der Digitalisierung, in: Praxis Gemeindepädagogik 1-2018, S.48f.
Volker Jung, Digital Mensch bleiben, Claudius Verlag 2019
Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft, Lesebuch zur Tagung der EKD-Synode 2014 in Dresden, Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH
Bildung in der digitalen Welt, Strategie der Kultusministerkonferenz in der Fassung vom 07.12.2017

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