Predigt als Seminar-Thema


Im Herbstkurs des Praktisch-Theologischen Seminars (PTS) der Selbständigen Evangelischen Kirche (SELK) stand für die Vikare das Thema Predigt im Mittelpunkt. SELK.de hat dazu den Leiter des PTS, Pfarrer Hans-Heinrich Heine (Hermannsburg) befragt.

Hans-Heinrich Heine

Im PTS ging es diesmal schwerpunktmäßig um die Predigt. Welche Fragen standen dabei im Mittelpunkt?


Heine: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie sich ein Prediger einem Bibelwort nähert, um es seiner Gemeinde zu verkündigen. Das nennen die Theologen Homiletik, die Lehre der Predigt. In diesem PTS-Kurs wurden unterschiedliche homiletische Zugänge erprobt. Dabei gibt es natürlich auch Grundregeln, die für jeden Zugang gelten und die in jedem Fall beachtet werden müssen. Zum Beispiel: Kurze Sätze, viele Verben und keine abstrakten Formulierungen verwenden.
Auch spielt die Prägung des Predigers durch den Heimatpastor oder andere Prediger eine nicht zu unterschätzende Rolle. Kein Prediger, auch wenn er noch am Anfang seiner Predigtlaufbahn steht, ist ein homiletisch unbeschriebenes Blatt. Dessen muss sich jeder „Predigt-Azubi“ bewusst werden.
Ein zweiter Schwerpunkt lag darin, die ersten eigenen Predigterfahrungen aus dem Vikariat zu reflektieren und eigene Predigten genau unter die Lupe zu nehmen.

Das Schreiben einer Predigt und das Halten einer Predigt sind ja zweierlei. Wie lernen die angehenden Pfarrer das Predigtschreiben?

Heine: Das Schreiben einer Predigt lernen die Vikare im Studium. Da wird an der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel ein grundsolides Fundament gelegt. Die Studenten bekommen dort einen guten „Werkzeugkoffer“ in die Hand, mit dem sie Schritt für Schritt eine Predigt erarbeiten. Das kann man sich ganz handwerklich vorstellen: In der Exegese arbeitet der Prediger den Rohling, die Hauptaussage und die Absicht des Bibeltextes heraus. Dann wird das Bibelwort in seinen theologischen Zusammenhang gestellt und die Gemeindesituation bedacht. So bekommt die Predigt langsam Gestalt. Hat der Predigt-Handwerker dann eine übersichtliche Gliederung erarbeitet, ist das schon mehr als die halbe Predigt!

Und wie lernt man das „Präsentieren“?

Heine: Die am Schreibtisch erarbeitet Predigt zu halten, sich damit vor die Gemeinde zu stellen, ist ebenfalls, wie gesagt, reines Handwerk. Und wie für jedes Handwerk gilt auch hier: üben, üben, üben. Dabei ist jeder Prediger unbedingt auf Rückmeldung angewiesen. Hier ist das PTS eine große Hilfe. Jede dort gehaltene Predigt wird in einem Predigtnachgespräch analysiert. Predigtnachgespräche in der Gemeinde sind im Übrigen auch für erfahrene Prediger eine gute Hilfe noch besser zu werden!

Was wird dabei von den Vikaren als besonders schwierig (oder auch besonders beglückend) empfunden?

Heine: Eine besondere Schwierigkeit scheint darin zu liegen, aus einer „Schreibe“ eine „Spreche“ zu machen. Das heißt, theologisch gewichtige Aussagen in einfacher Sprache zu formulieren. Im Studium haben die Studenten unter Mühen gelernt, sich auf hohem intellektuellem Niveau wissenschaftlich korrekt auszudrücken. Nun aber müssen sie wieder lernen, „dem Volk aufs Maul zu schauen“. Wenn das gelingt und der Prediger nach dem Gottesdienst als Rückmeldung bekommt: „Heute habe ich das endlich mal verstanden!“ – dann ist das äußerst beglückend!

Was gehört zu einer guten Predigt-Vorbereitung?

Heine: Um nicht über die Köpfe der Gemeindeglieder hinweg zu predigen, muss der Prediger sowohl die „Großwetterlage“ als auch die Lage vor Ort in den Blick nehmen.
Das heißt, er sollte sich über die großen gesellschaftlichen Themen informieren, wahrnehmen, worüber alle Welt redet. Dies erfährt er aus den Medien.
Genauso muss er aber auch darüber Bescheid wissen, was die Menschen vor Ort bewegt. Das geht aber schlecht vom Schreibtisch aus! Also: Raus aus dem Arbeitszimmer und hin zu den Leuten und zuhören, zuhören, zuhören.

Welches Ziel hat eine Predigt?

Heine: Predigt hat eigentlich nur ein Ziel: Sie will trösten. Das, was wir den Leuten zu sagen haben, erfahren sie sonst nirgendwo anders.

Einem jungen Prediger wird es vielleicht leichter fallen, junge Familien anzusprechen als die älteren Gottesdienstbesucher. Welche unterschiedlichen „Zielgruppen“ gilt es bei der Predigt zu berücksichtigen und worauf müssen die Vikare da achten?

Heine: Natürlich sind der Alltag eines Konfirmanden und einer Rentnerin kaum zu vergleichen. Und auch die Fragen und Nöte der Menschen sind so vielfältig wie das Leben. Das wird der Prediger im Blick behalten. Und er muss wissen: Ich werde nicht mit jeder Predigt jede Zuhörerin und jeden Zuhörer gleichermaßen erreichen.
Darum wird er beispielsweise in einem Familiengottesdienst besonders den Alltag von jungen Eltern in den Blick nehmen, während er zum Abschluss einer Kinderbibelwoche vielleicht gar nicht auf die Kanzel steigt, sondern sich zwischen die Kinder stellt und ihnen eine biblische Geschichte spannend erzählt. Jetzt am Ende des Kirchenjahres wird er gerade jenen Menschen Trost zusprechen, die in diesen Tagen die Gräber ihrer Angehörigen besuchen.

Gibt es in der Predigtlehre neue Methoden oder Konzepte, die man heute berücksichtigt – oder anders gefragt: Predigen Pfarrer heute anders als vor 40, 50 Jahren?

Heine: In den letzten 60 Jahren hat sich die Predigtlandschaft sehr verändert. Bestand nach den Erfahrungen zweier Weltkriege und dem offensichtlichen Versagen liberaler Hochschultheologie die Aufgabe der Predigt darin, dass allein Gott zu Wort kommen soll, so rückte ab Mitte der 60er Jahre immer mehr die Lebenssituation der Predigthörer in den Fokus der Predigtlehre. Die Beobachtung war, dass häufig theologisch sauber über die Köpfe der Hörer hinweg gepredigt wurde. Deshalb wurde nun bei der Predigtvorbereitung mehr Wert auf Humanwissenschaften wie Psychologie, Soziologie und Kommunikationswissenschaften gelegt. Die Situation des Menschen und der Gemeinde wurde zum Thema. Dieser theologischen Richtung wurde aber schnell Gottvergessenheit vorgeworfen.
Die sogenannte dramaturgische Homiletik, die heute an vielen Hochschulen und Predigerseminaren gelehrt wird, verbindet beide berechtigte Anliegen. In bildreicher und lebendiger Sprache wird dem Hörer Gottes Wort vor Augen gemalt.

Aber nicht nur die Predigten, auch die Hörgewohnheiten haben sich ja in den letzten Jahrzehnten stark verändert. So ist zu beobachten, dass die Predigten entsprechend der Aufnahmefähigkeit der Hörer deutlich kürzer geworden sind. Viele ältere Predigthörer erinnern sich noch gut an 40 Minuten (!) Predigtlänge oder mehr. Heute hat man sich gerade mal bequem hingesetzt, da ist der Pastor schon bei der Zusammenfassung!

Doch gestern wie heute gehört zur Predigtvorbereitung, neben handwerklich sauberer Arbeit, die Bitte um Gottes Heiligen Geist. Eine geistliche Aufgabe wie das Predigen gewinnt ihre Kraft nur auf einer geistlichen Grundlage. Deshalb kommt dem Gebet in der Predigtarbeit damals wie heute die größte Bedeutung zu. Frei nach Luther: „Bete, als ob alles Arbeiten an der Predigt nichts nützt und arbeite, als ob alles Beten nichts nützt!“


Die Fragen stellte Doris Michel-Schmidt

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