KOMMENTAR zur Lutherbibel 2017 | 27.10.2016


Es sei eine gute Sache, dass die "Lutherbibel revidiert 2017" als App für Androide Smartphones/Tablets und für iPhones/iPads bis zum 31. Oktober kostenlos zur Verfügung gestellt wird, so Pfarrer Andreas Volkmar (Bielefeld), der Beauftragte der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) für Weltanschauungsfragen. Er nimmt dies zum Anlass, in der Funktion dieser Beauftragung auf die überarbeitete Textfassung der Lutherbibel zu schauen.

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Die Zeugen Jehovas bieten schon seit etlichen Jahren ihre "Neue Welt Bibel" als kostenlose App an. Vor allem jüngere Menschen und Migranten laden sich dieses Angebot herunter, wenn sie eine kostenlose Bibel ohne kommerzielle Werbeeinblendungen suchen. Auch wenn nicht jeder User zu den Zeugen Jehovas übertritt: Die Verwendung einer solchen Übersetzung prägt schon. So trat mir schon die Frage entgegen, warum die traditionellen Kirchen den Gottesnamen "Jehova" aus dem Neuen Testament entfernt hätten? Fakt ist, dass die Zeugen Jehovas in ihrer Übersetzung erst den Namen eingefügt haben, obwohl er sich nicht im griechischen Urtext des Neuen Testamentes findet. Die weltweit, flächendeckende Verbreitung ihrer Bibel prägt aber leider das Bewusstsein mancher User. Bedenklich ist auch, dass neutestamentliche Texte, die auf die volle Gottheit Jesu hinweisen (Johannes 1,1; Apostelgeschichte 20,28; Römer 9,5; 2. Korinther 5,19; Philipper 2,6; Hebräer 1,8), so verändert werden, dass sie fragwürdig wird. Im Anhang der "Neue Welt Bibel" wird schließlich der sakramentale Charakter von Taufe und Abendmahl in Frage gestellt.

Von daher ist es wirklich sinnvoll und hilfreich, wenn eine gute Alternative zu diesem Angebot aufgefahren wird, die evangelische und lutherische Anliegen zur Sprache bringt. Ist die "Lutherbibel revidiert 2017" in der jetzigen Fassung solch eine Alternative? Sie könnte es sein, aber leider verunsichert sie in einigen der angesprochenen Problemstellungen mehr, als dass sie Orientierung im evangelisch-lutherischen Sinne bietet.

Bevor aber auf diese kritischen Punkte eingegangen wird, sollen Punkte angesprochen werden, die besser sind als in der Vorgänger-Revision. Jetzt wird in 1. Mose 3,15 vom "Samen" der Frau und der Schlange gesprochen. So wird verständlicher, warum in der altkirchlichen und reformatorischen Schriftauslegung diese Stelle als "Protevangelium" (Erstes Evangelium) verstanden wurde. Das Bild des Samens korrespondiert einsichtiger mit messianischen Verheißungen im übrigen Alten Testament (AT), wo vom "Spross", der "Wurzel"   oder dem "Reis" gesprochen wird. Besser wäre es noch gewesen, man hätte auch an anderen Stellen wie zum Beispiel Galater 3,16 wieder vom "Samen" gesprochen. Dies würde es dem Leser, der die Ursprachen nicht beherrscht, ermöglichen, leichter solche Anspielungen zu erkennen.

Trefflich ist es auch, dass im "Lobgesang des Zacharias" wieder vom "Horn des Heils" (Lukas 1,69) gesprochen wird. Das "Horn" verweist nämlich auf die Hörner des alttestamentlichen Brandopferaltars, die für Sünder als Zufluchtsstätte dienten (vgl. 1. Könige 1,50). Das soteriologische Moment wird so verstärkt.

Erfreulich ist auch, dass 2. Petrus 1,1 jetzt mit "durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Heilandes Jesus Christus" wiedergeben wird. Schon der Neutestamentler Walter Grundmann (1906-1976) hielt diese Übersetzung für sachgerecht. Er wies dabei auf die Verwandtschaft des 2. Petrusbriefes mit den Briefen des Ignatius hin, wo die Bezeichnung "unser Gott" für Jesus häufig vorkommt.

Leider wird dieses Zeugnis für die volle Gottheit Jesu Christi an anderen Stellen abgeschwächt. So findet sich zu der Übersetzung von Johannes 1,1 "und Gott war das Wort" die Anmerkung: "Gemeint ist: von göttlicher Art war das Wort". Vermutlich resultiert diese Anmerkung aus dem Umstand, dass "Gott" hier im griechischen Urtext ohne den bestimmten Artikel steht. Im Allgemeinen gilt die Regel, dass vom klassischen Griechisch her in der deutschen Übersetzung in solchen Fällen der unbestimmte Artikel "ein" gesetzt wird. Die "Neue Welt Bibel" der Zeugen Jehovas tut das auch. Sie übersetzt: "und das Wort war ein Gott". Damit soll verdeutlicht werden, dass Jesus nicht Gott im vollen Sinne wie der Vater ist, sondern nur eine "Art Gott" - sprich "Halbgott". Wenn früher im Deutschen davon gesprochen wurde, dass "Jesus Gott von Art ist", war klar, dass so seine Wesensgleichheit mit dem Vater betont wurde. Im heutigen Sprachgebrauch klingt dieser Begriff eher abwertend. Eine "Art Auto" ist eben kein richtiges Auto. Ich vermute, dass dies die Bearbeiter der Lutherrevision eigentlich nicht wollen. Sie gehen aber wohl wie die Herausgeber der "Neue Welt Bibel" davon aus, dass an dieser Stelle durchaus ein Unterschied zwischen "Gott" mit oder ohne bestimmten Artikel markiert werden soll. Wie gesagt, vom klassischen Griechisch her wäre dies möglich. Aber wir haben es hier mit dem "Koine-Griechisch" zu tun. Da gelten manchmal andere Regeln. So kann hier "der Artikel fehlen, wenn eine Größe genannt wird, die in ihre Art einzig und unverwechselbar ist ... Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst. (2. Kor 5,29)" (Heinrich von Siebenthal) - Zu beachten ist dazu der Umstand, dass auch an etlichen Stellen im Neuen Testament, wo auch von der Gottheit des Vaters gesprochen wird, der bestimmte Artikel nicht verwendet wird, zum Beispiel Matthäus 12,27; Lukas 2,14; Johannes 1,6; 1,13; Apostelgeschichte 5,39; Römer 2,17; Galater 6,6; 1. Thessalonicher 2,5; Hebräer 6,5; 1. Petrus 2,4. An diesen Stellen schlägt niemand vor, mit "ein Gott" zu übersetzten oder anzumerken "von göttlicher Art".

Bedenklich ist auch die Wiedergabe von Römer 9,5 in der Revision 2017. Hieß es bisher "Aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit", heißt es nun "Aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch. Gott, der da ist über allem, sei gelobt in Ewigkeit." Dazu kommt die Anmerkung "Luther übersetzte nach dem lateinischen Text ,Christus ... der da Gott ist über alles.'" Die Bearbeiter erwecken so den Eindruck, dass jene Übersetzung, die Christus als Gott bekennt, nicht dem griechischen Urtext entspricht, sondern von der lateinischen Übersetzung dieses Textes herkommt. Nun ist es aber so, dass schon griechische Kirchenväter wie Irenäus und Athanasius Römer 9,5 im Sinne von "Christus ... der da Gott ist über alles." verstanden haben. Den Bearbeitern der Revision 2017 scheint auch entgangen zu sein, dass sich paulinische Doxologien, die mit einem Relativpronomen eingeleitet werden, in der Regel auf das vorausgegangene Subjekt beziehen (vgl. Römer 1,25; Römer 11,36; 2. Korinther 11,31; Galater 1,5; 2. Timotheus 4,18) - und das ist in Römer 9,5 "Christus".

Wenig hilfreich ist aus lutherischer Sicht, was in den "Sach- und Worterklärungen" im Anhang zur Taufe und zum Abendmahl gesagt wird. So wird unter anderem zur Taufe festgehalten: "Die Taufe wurde wohl nur an Erwachsenen vollzogen, noch nicht an kleinen Kindern." Wie die Zeugen Jehovas und christliche Gruppen, die die sogenannte Großtaufe üben, schließen die Herausgeber der "Lutherbibel 2017 aus, dass in der Taufe ganzer Häuser, die im NT bezeugt wird (zum Beispiel in Apostelgeschichte 16,5; 18,8; 1. Korinther 1,16), die Kinder eingeschlossen waren. Über das Abendmahl wird festgehalten: "In den liturgisch überformten Einsetzungsworten werden die Handlungen (Austeilung von Brot und Wein), nicht die Elemente Brot und Wein selbst gedeutet. Das Abendmahl ist nicht durch die besondere Symbolik des Passafestes . geprägt: Gedeutet werden nicht die speziell zum Passafest vorgesehenen Speisen, sondern die Zutaten jeder festlichen Mahlzeit." Diese Erklärung stellt bestimmte Theorien, die in der neutestamentlichen Auslegung diskutiert werden, als einen sicheren Sachverhalt dar. Das klare neutestamentliche Zeugnis "Mich hat herzlich verlangt, dies Passalamm mit euch zu essen, ehe ich leide" (Lukas 22,15, vgl. auch Matthäus 26,17; Markus 14,14; Lukas 22,8), das das Heilige Abendmahl und das Passa miteinander verbindet, wird völlig beiseitegeschoben. Vor allem wird in den Einsetzungsberichten nicht eine Handlung, sondern die Gaben Brot und Wein werden gedeutet. Auf jeden Fall ist diese Sacherklärung weit von lutherischer Theologie entfernt.

Was lässt sich aus weltanschaulich-apologetischer Sicht, die sich dem lutherischen Bekenntnis verpflichtet weiß, über die "Lutherbibel revidiert 2017" als App festhalten? Positiv ist auf jeden Fall zu bewerten, dass für eine gewisse Zeit eine kostenlose Alternative zur "Neue Welt Bibel" der Zeugen Jehovas bereitsteht. Erfreulich ist auch, dass sie zu traditionellen Begrifflichkeiten zurückkehrt, die trotz einer gewissen Sperrigkeit das soteriologische Wirken Gottes durch seinen Christus verdeutlichen. Leider werden diese positiven Momente durch Übersetzungen und Anmerkungen konterkariert, die das Zeugnis für die wahre und volle Gottheit Jesu fraglich erscheinen lassen. Von lutherischer Sicht sind vor allem die "Sach- und Worterklärungen" zu Taufe und Abendmahl nicht tragbar.

Den Herausgebern ist zu empfehlen, diese angesprochenen Kritikpunkte in einer Neuauflage zu überarbeiten. Ist dies geschehen, sollten sie eine solche App ohne zeitliche Begrenzung zum Download bereitstellen.

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Ein Kommentar von selk_news [27.10.2016]
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