Angedacht!


„Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft mit Jesus Christus entspricht:
Er, der in göttlicher Gestalt war …“
Philipper 2,5


Dr. Andrea GrünhagenLiebe Leserinnen und Leser,

wie hören wir einen solchen Satz? Ich würde sagen, wir hören ihn am besten im Zusammenhang und lesen die Verse 1 bis 18 des 2.Kapitels im Philipperbrief. Und dann fragen wir noch einmal: Was machen wir mit einer solchen Aufforderung? Und was soll das in der Karwoche?

Die Aufforderung an sich passt ja eigentlich immer, denn wenn man nur diesen Satz liest, klingt er ziemlich allgemein. Einen Bezug zum Leiden und Sterben Jesu bekommt er erst durch die nachfolgenden Verse. Die Verse 6-11 nennt man den Philipperhymnus. Das bedeutet, es handelt sich um ein sehr sorgfältig gedichtetes Lied der ersten Christen, das Paulus wahrscheinlich in seinen Brief an die Gemeinde in Philippi eingefügt hat. In dem Lied, das aus sechs Strophen zu jeweils drei Zeilen besteht und das genau in der Mitte (zwischen V. 8 und 9) wie an einer Spiegelachse inhaltlich gedreht wird, wird der Weg beschrieben, den Christus genommen hat: vom Dasein als Gottes Sohn in der Ewigkeit dahin, dass er Mensch wurde, ja sogar, dass er als Mensch litt und starb – und wieder zurück durch die Auferstehung und Erhöhung zu Gottes Thron. Eingefügt ist dieses Lied zwischen mehreren Ermahnungen, die Paulus an die Gemeinde richtet. Vor dem Lied heißt es: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem anderen dient.“ Und zu dem Thema Demut fällt Paulus dann dieses Lied ein. Als eine Verknüpfung von seiner Ermahnung zu dem Hymnus dient der oben abgedruckte Vers. Wer den Text der vorherigen Lutherbibel noch im Ohr hat, wundert sich vielleicht über diese Übersetzung. Luther hatte übersetzt: „Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war.“ Wie kommt denn so etwas?

Vers 5 ist ausgesprochen schwer zu übersetzen. Wahrscheinlich muss man den Satz in zwei Teile teilen. Dann lautet er: „So sollt ihr gesinnt sein.“ Das schließt die Ermahnung ab. „So wie auch Christus Jesus, der, als er in göttlicher Gestalt war …“. Das ist die Überleitung zum Lied. Nun könnte es aber auch heißen: „So wie solche, die in Christus Jesus sind, der… – und dann ist die Übertragung in der jetzigen Lutherbibel sachgemäß.

Die Aufforderung ist also nicht: „Los, macht es Jesus nach, erlöst die Welt!“ Es geht um die Haltung hinter unserem Verhalten. Nämlich um eine Gesinnung, die der Tatsache entspricht, dass wir zu diesem Herrn gehören, der nicht auf seinen Status und seine Privilegien in der Herrlichkeit bestanden hat, sondern sie freiwillig losgelassen hat, um für uns Menschen zu leiden und zu sterben. Und Gott hat dieses Opfer und diesen Weg angenommen und seinen Sohn aus Tod und Grab emporgehoben ins Leben der Auferstehung und ihn zum Herrn gemacht über alles.

Fragen wir also, was wir hier über Christus hören. Christus hätte einfach in der himmlischen Herrlichkeit in göttlicher Gestalt bis in alle Ewigkeit bleiben können. Aber er hat darauf verzichtet und ist ein Mensch auf dieser Erde geworden, hat alle Facetten des menschlichen Lebens geteilt und am Ende sogar für uns den Tod erlitten.

Und da wir seit unserer Taufe mit Christus zusammengehören, spiegeln wir etwas von dieser Art, sich zu verhalten wider. Es muss uns nicht mehr um unserer eitle, d.h. nutzlose, Ehre gehen, wir müssen nicht eigennützig darauf achten, nicht zu kurz zu kommen, sondern wir können es uns leisten, den anderen an die erste Stelle zu setzen. Wer demütig denkt, denkt richtig. Das ist sehr konkret gemeint, was Paulus hier schreibt.

Es geht nicht um ein allgemeines: „Seid so nett wie Jesus.!“-Gerede. Jesus war in vielen Situationen überhaupt nicht nett. Er hat mit den Pharisäern und Schriftgelehrten gestritten und die Geldwechsel aus dem Tempel geworfen. Er hat nicht immer aus Prinzip nachgegeben und vor lauter Liebsein die Ehebrecherin steinigen lassen oder den Gelähmten auf seiner Trage liegen. Wer vom anderen her denkt, der kann für den anderen auch unbequem werden. Wer den anderen in Demut höher achtet als sich selbst, der kann darauf verzichten, gelobt zu werden und Ansehen zu genießen. Kurz gesagt: wer mit Jesus zusammengehört, der tut, ohne sich selbst zu schonen das Richtige und das Nötige, aber nicht für sich selbst, sondern für die anderen.

Diese Aufforderung sollen wir hören. Vielmehr noch sollen wir aber das betrachten und bedenken, was Christus getan hat. Und da wird auch klar, was das mit der Karwoche zu tun hat. Indem wir als Christen immer wieder diesen Weg Jesu ans Kreuz, in den Tod zur Auferstehung ins ewige Leben betrachten und innerlich mitgehen, verändert sich unser Sinn, auch wenn wir in diesem Leben darin nie vollkommen sein werden. Christus prägt uns in sein Bild. Unserer Prioritäten von „Ich-meiner-mir-mich“ verwandeln sich in sein bedingungsloses: „Für dich.“

Ihre Andrea Grünhagen

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